Der Restaurierungsbericht
Seit vielen Jahren war die Orgel in der katholischen Pfarrkirche Johannes Evangelist zu Großwinterheim (Pfarrei Schwabenheim) in einem maroden Zustand. So berichtete der unvergessene, langjährige Küster der Kirche Pius Schild, dass in den 1960er Jahren die Kinder mit Orgelpfeifen aus dem Instrument durch die Straßen des Ortes gezogen sind. Um das Instrument wieder einigermaßen spielbar zu machen, hat man dann in den 70er Jahren einen Orgelbauer aus Nieder-Olm beauftragt, entsprechende Reparaturen auszuführen. Da kein Geld vorhanden war, hat der Orgelbauer versucht, möglichst billig die Orgel wieder spielbar zu machen. Dabei wurden historische Gesichtspunkte außer Acht gelassen. Langfristig konnte dies keine Lösung sein, zumal die Traktur sehr schwergängig war und nur störanfällig funktionierte. Der Zustand der historischen Pfeifen war höchst mangelhaft; Stimmungen erfolgten z.T. mit Klebeband. Die Mixturpfeifen wurden in der Orgel verteilt, um andere nur schwer reparable Pfeifen zu ersetzen.
Der damalige Organist und Vorsitzende des Pfarrgemeinderates Alex Kloos bat bereits 1979 Herrn Dr. Hans-Joachim Stenger, in einer Pfarrgemeinderatssitzung über die Chancen einer Gangbarmachung der Orgel zu berichten. Herr Stenger erstellte eine Bestandsaufnahme und holte bei verschiedenen Firmen Restaurierungsangebote ein. Da die Gemeinde über keine finanziellen Mittel verfügte, sollte eine Restaurierung langfristig angegangen werden. Primäres Ziel war damals, die Orgel in einen spielbereiten Zustand zu versetzen. Die im Höchstmaß dringend gewordene Instandsetzung des gesamten Kirchengebäudes ließ jedoch die Orgelfrage in den Hintergrund treten.
Erst im Jahr 2002 ist es gelungen, einen Orgelverein ins Leben zu rufen. Jetzt konnte die Restaurierung des Instrumentes realistischer ins Auge gefasst werden. Neue Angebote wurden eingeholt, zumal sich im Naheraum einen Orgelbaufirma etabliert hatte, die mit hervorragenden Restaurierungsarbeiten an barocken Instrumenten auf sich aufmerksam gemacht hatte. Entsprechend zog man die Firma Rainer Müller, Merxheim, in die engere Wahl. Nachdem der Orgelverein durch verschiedene Aktivitäten Spenden und Zuschüsse für die Orgelmaßnahmen requirieren konnte, war es im Juni 2010 so weit, dass der Restaurierungsauftrag unterzeichnet werden konnte. Im Februar 2011 wurde das Instrument vollständig abgebaut und die Teile in die Werkstatt nach Merxheim gebracht. Genauere Untersuchungen brachten einige neue Erkenntnisse, die zuvor nicht möglich waren, zumal es keine Dokumente über die Errichtung der Orgel mehr gab (mehrfache Brandschatzungen im Selztal im Dreißigjährigen Krieg und kurz nach der französischen Revolution): Die Orgel war ursprünglich zweimanualig geplant. Darauf weist der Prospekt hin; außerdem hatte die Kirche eine entsprechende Größe. Aus Kostengründen – Mitte des 18. Jahrhunderts versandeten die adligen Geldquellen in Großwinternheim – hat man nur ein Manual gebaut. Die bereits für das zweite Manual vorgesehenen Register/Pfeifen wurden auf dem einen Manual untergebracht, was zu ungewöhnlichen Pfeifenaufstellungen auf der Lade führte. Das Werk hat seit Anbeginn sehr unter mangelnder Pflege gelitten. Vielleicht war die Gemeinde auch mit dem Klang nicht zufrieden, sodass man immer wieder bei Orgelbauern Restaurierungsangebote einholte. Allerdings hat man sich wohl aus Kostengründen immer nur mit kleinen Reparaturen und Pfeifenumstellungen abfinden müssen.
Ein erstes Angebot der Firma Müller aus dem Jahr 2003 (incl. 16 % MwSt.) betrug 255 548.- €. Entsprechend der allgemeine Teuerung wurde das Angebot am 17.09.2008 auf 280 000.-€ aktualisiert. Nach dem Abbau in der Kirche und gründlicher Untersuchung in der Werkstatt, konnten weitere Erkenntnisse über die ursprünglichen Register gewonnen werden. Auch entschied man sich, das Pedal auf 25 Töne zu erweitern, um die Spielmöglichkeiten zu optimieren; schließlich sollte eine Posaune 16‘ im Pedal einen besonderen Glanzpunkt setzen. Damit erhöhten sich die Gesamtkosten auf 346 750.- €. Diese Summe überstieg die finanziellen Möglichkeiten des Orgelvereins. Man einigte sich mit dem Orgelbauer darauf, dass die vier zusätzlichen Register so vorbereitet werden, dass lediglich die Pfeifen ohne größere Umstände nachträglich eingesetzt werden können; Kosten: 310.000.- €. Der Orgelverein ist guter Hoffnung, dass die Pfeifen für drei Register davon schon während der Restaurierungsphase beauftragt werden können; die Posaunenpfeifen sollten entsprechend den finanziellen Mitteln dann später eingebaut werden.
Die Orgel wird folgende Disposition (Ladenabfolge) haben:
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Die Restaurierung
Am 16.September 2012, wurde die Kohlhaas-Orgel in der St. Johannes Evangelist Kirche in einem feierlichen Gottesdienst mit Generalvikar Prälat Dietmar Giebelmann wieder in Dienst gestellt. Bis es zu dieser Einweihung kam, gab es viele kleine Arbeitsschritte, die nach und nach, sowohl arbeitstechnisch, als auch finanziell gemeistert werden mussten.
10.05.2010 - Letzte Möglichkeit in die Geschichte einzugehen
Die Restaurierungsarbeiten an der Kohlhaas-Orgel gehen gut voran. In diesen Tagen beginnt nun Orgelbaumeister Rainer Müller, die 1562 Pfeifen zu intonieren und zu stimmen. Intonation bedeutet, dass alle Pfeifen eines Registers die gleiche Klangfar-be, d.h. die gleiche Obertonreihe haben. Dies ist eine aufwändige und zugleich künstlerische Arbeit, die neben einem guten Gehör viel Feinfühligkeit und Sensibilität verlangt. Während manche Pfeifen schon nach einigen Handgriffen den richtigen Klang erbringen, kann es schon einmal zwei bis drei Stunden dauern, bis „widerspenstige Pfeifen“ so ertönen, wie dies gewünscht ist.
19.08.2011 - Das Gehäuse der Orgel ist weitgehend restauriert
Das Gehäuse der Orgel ist weitgehend restauriert. Dabei wurde genau auf historische Vorgaben geachtet. Wenn noch alte Spuren zu entdecken waren, wurden diese aufgegriffen und konsequent verfolgt, um eine historisch gerechte Wiederherstellung durchzuführen (z.B. Gehäuserückwand). Die Pedalklaviatur ist nach Vorbildern aus dem 18. Jahrhundert rekonstruiert: Pedalumfang C-c1. Die Pedallade ist beispielhaft repariert, die Zusatzladen für Pedalumfangerweiterung sind entsprechend den alten Laden hergestellt, die Erweiterungslade für die Posaune 16‘ ist in Arbeit. Die neuen Teile passen sich gut in das vorhandene Material ein.
07.10.2011 - In der Orgelwerkstatt Rainer Müller in Merxheim an der Nahe
Nicht schlecht staunten die Besucher aus Rheinhessen, als sie kürzlich die Orgelwerkstatt Rainer Müller in Merxheim an der Nahe besuchten. Da stand ihre Orgel mit neuen noch schutzverpackten Pfeifen äußerlich schon fast fertig in der großen Werkshalle. „Ein überwältigender Eindruck“, meinte die mitgereiste Landtagsabgeordnete Dorothea Schäfer und „Die Orgel klingt ja schon, ohne dass ein Ton zu hören ist“ ergänzte der Ehrenpräsident der Christian-Heinrich-Rinck-Gesellschaft Pfarrer i.R. Klaus Scheuermann, der ebenfalls nach Merxheim gekommen war. Orgelbaumeister Rainer Müller erläuterte kompetent die bereits erfolgten Arbeiten an dem 250 Jahre alten Instrument.
09.01.2012 - Vox humana – Stimme des „erbärmlichen“ Menschen
Zum letzten Mal hatten die Besucher aus Rheinhessen kürzlich die Gelegenheit, die Großwinternheimer Kohlhaas-Orgel im Werkstattaufbau zu begutachten. Gut drei Dutzend Interessenten aus Großwinternheim, Stadecken-Elsheim, Wallertheim, Obersaulheim, Gundheim und Gau-Bickelheim waren nach Merxheim an der Nahe gereist, um das restaurierte Instrument in Augenschein zu nehmen. Inzwischen ist die Orgel fast komplett aufgebaut: alle etwa 1500 Pfeifen der über 20 Manualregister haben ihren Platz im Orgelgehäuse gefunden, lediglich die großen, gewaltigen Pedalpfeifen müssen noch aufgepasst werden. Orgelbaumeister Rainer Müller hatte sich an diesem Abend viel Zeit genommen, um den Gästen den Aufbau ausführlich zu erläutern.
26.05.2012 - Geburtstagsgeschenk zum 243.Geburtstag
Kürzlich feierte die für den Wahlkreis 30 Ingelheim zuständige Landtagsabgeordnete Dorothea Schäfer ihren 50. Geburtstag. Da Frau Schäfer sich im kulturellen Bereich stark engagiert, unterstützt sie auch die beiden derzeit laufenden Orgelprojekte in Ingelheim: Wiederaufbau der Skinner-Orgel in der Saalkirche und Restaurierung der Kohlhaas-Orgel im Ortsteil Groß-Winternheim. Statt Geschenke hat sie sich Spenden für diese beiden Projekte erbeten. Durch persönliche Zugaben hat sie die Spendensumme nach oben aufgerundet. Am 25.Mai 2012 war es dann soweit und der erste Spendenscheck wurde an der Orgel der Kirche Johannes Evangelist feierlich an den Schatzmeister des Orgelvereins Gerd-Peter Schild überreicht.
27.06.2012 - Hoher Besuch bei der Königin
Ein besonderer Besuch stellte sich bei der historischen Kohlhaas-Orgel von 1769 in der katholischen Pfarrkirche Johannes Evangelist ein. Die Orgel gilt wegen ihrer klanglichen Vielfalt als Königin der Instrumente. Der Leiter des Bischöflichen Instituts für Kirchenmusik im Bistum Mainz, Herr Diözesankirchenmusikdirektor Thomas Drescher und der wissenschaftliche Mitarbeiter für das Orgelwesen in den Diözesen Mainz und Limburg, Herr Dr. Achim Seip wollten sich vor Ort ein Bild über den Stand der Restaurierungsarbeiten machen. Orgelbaumeister Rainer Müller und der zuständige Orgelsachverständige Dr. Hajo Stenger erläuterten die Arbeiten.
16.08.2012 - Historisch perfekt restaurierte Kohlhaas-Orgel wird wieder eingeweiht
Nach über 20-jähriger Vorbereitungszeit ist es nun gelungen, die Groß-Winternheimer Denkmalsorgel, erbaut 1769 von Johannes Kohlhaas, dem Jüngeren, zu restaurieren. Die Arbeiten waren recht schwierig und aufwändig, denn alle Dokumente aus der Erbauungszeit sind bei mehrfachen Brandschätzungen im Selztal vernichtet worden. Dennoch ist es der Orgelbaufirma Rainer Müller aus Merxheim in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Orgelsachverständigen Dr. Hans-Joachim Stenger geglückt, das Werk originalnah wieder herzustellen. In Vertretung von Herrn Kardinal Lehmann, wird Generalvikar Dietmar Giebelmann das fast 30registrige Werk am Sonntag, 16. September 2012 um 16 Uhr segnen.
09.12.2012 - Schlussakkord für die Kohlhaas-Orgel
Fast ein Jahr hat der Wiedereinbau der historischen Kohlhaas-Orgel in der Pfarrkirche Johannes Evangelist zu Groß-Winternheim gedauert. Am 16. August ist das Instrument zwar feierlich eingeweiht worden, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Arbeiten noch nicht ganz abgeschlossen waren. Jetzt Anfang Dezember war es endlich so weit: Alle Restaurierungsmaßnahmen an der Orgel sind nun fertig und die Gemeinde hat ein prächtiges Instrument, das nun nach 243 Jahren erstmals vollständig eingebaut ist und so klingt, wie es vor gut zwei Jahrhunderten hätte den Kirchenraum erfüllen sollen. Damals konnte aus Geldmangel nur ein Teil des Instrumentes realisiert werden und immer wieder waren vergebliche Versuche unternommen worden, diese wertvolle Orgel zu komplettieren.